Focusing in Kurzform
"FOCUSING ist die Zeit, die ich mit einem gespürten ETWAS verbringe,
ohne schon zu wissen, was es ist." (Eugene Gendlin)
Diese Begegnung mit sich selber, kann neugierig, annehmend, achtsam und geduldig begleitet werden.
Durch diesen Prozess der "inneren Friedensarbeit" können sich Blockaden lösen, können Entscheidungen getroffen werden, können Selbstfürsorge und Resilienz gesteigert werden.
Focusing ist lernbar.
Selbst-Focusing: Die focusierende Person ist im inneren Dialog und im inneren Erleben mit sich selber.
Begleitetes Focusing: Die focusierende Person wird von einem/einer Begleiter:in unterstützend begleitet. Die Begleitung richtet sich nach den Bedürfnissen der focusierenden Person. Die Begleitung erfolgt durch gesprochene Interventionen/Angebote. Die Focusing-Begleitung verwendet keine körperlichen Berührungen, resp. manuelle Interventionen.
Wirkungsweise
Focusing beschreibt den Prozess des inneren Erlebens, der geschieht, wenn sich eine Person verändert. Auf diesen inneren Prozess zu achten heißt, sich selbst kennenzulernen, sich selbst anzunehmen, mit sich selbst vertraut zu werden. Es heißt auch, sich selbst dabei zu unterstützen, die eigenen Möglichkeiten wahrzunehmen, zu entwickeln und im Handeln zu verwirklichen.
Focusing ist ein natürlicher Prozess. Wir müssen ihn nicht neu lernen, wir brauchen ihn nur wiederzuentdecken und uns zu eigen zu machen. Es ist ein Prozess, der immer und überall geschehen kann, im Alltag, in professionell helfenden Situationen, zum Beispiel in der Beratung und Psychotherapie. Es ist ein Prozess, der in der Person selbst geschieht, der eben auch durch andere Personen begleitet und damit gefördert werden kann – kollegial von Partner:innen, Kolleg:innen und professionell von Berater:innen sowie psychologischen oder ärztlichen Psychotherapeut:innen. Focusing ist deshalb eine wirksame Methode der Selbsthilfe und nützlich für Professionelle in der psychosozialen Arbeit, gleich welcher Schule sie angehören. (International Focusing Network; 1985)
Eines der Focusing-Schlüssel-Elemente ist die Haltung von «dabei sein und etwas zulassen oder annehmen», anstelle einer Haltung von «etwas wegmachen oder in Ordnung bringen». Diese Focusing-Haltung ist verwandt mit dem Daoistischen Prinzip des «Wu Wei» (Handeln durch Nichthandeln). Im Focusing treten wir aus einer sicheren Distanz in Kontakt zu unangenehmen Anteilen oder Blockaden in unserem Selbst. Wenn es dabei gelingt, einen Teil anzunehmen, zu akzeptieren, Frieden zu schliessen, wird Energie für Veränderung frei.
Carl Rogers formulierte es so: "Das seltsame Paradoxon ist, dass, wenn ich mich so akzeptiere wie ich bin, ich die Möglichkeit erlange, mich zu verändern.” Klaus Renn, der Autor von "Magische Momente der Veränderung" brachte es so auf den Punkt: "Was sein darf, kann sich ändern."
Entdeckung - Entwicklung von Focusing
Neben der phänomenologischen Theoriebildung und der klinischen Erfahrung (vor allem mit psychiatrischen Patienten) war für die Entwicklung von Focusing die Frage entscheidend, von welchen Umständen es abhängt, dass manche Personen von Psychotherapie oder Beratung profitieren, andere aber keine konstruktiven Veränderungen erfahren. Eugene Gendlin (1926 – 2017) fand durch das Studium von zahlreichen Therapieverläufen (verschiedener Schulrichtungen) heraus, dass weder die Technik des Therapeuten, noch die in der Therapie bearbeiteten Themen des Klienten für den Therapieerfolg verantwortlich sind, sondern die Art und Weise, wie sich der Klient ausdrückt, und das heißt, wie er mit seinem eignen Erleben in Beziehung steht.
Die Art und Weise, wie eine Person mit ihrem persönlichen Erleben in Beziehung tritt, wenn sie sich konstruktiv ändert, hat Gendlin als Focusing beschrieben.
Durch die Kenntnis des Focusing-Prozesses eröffnen sich dem Begleiter oder der Begleiterin viele Möglichkeiten, den Prozess der persönlichen Veränderung bei anderen Personen zu unterstützen. So beschreibt Focusing zum einen den Veränderungsprozess selbst, zum anderen beschreibt es die Methoden, die diesen Prozess ermöglichen und systematisch fördern. (International Focusing Network; 1985)
Die zentrale Erkenntnis war, dass «erfolgreichere» Klienten in der Lage sind, auf eine bestimmte Weise mit ihrem inneren Erleben in Kontakt zu sein. Während gedanklichen und/oder emotionalen Prozessen meldet sich der Körper (auf zuerst noch undeutliche Art) zu Wort. Es gibt ein «mulmiges Gefühl» oder «mehr Luft» oder einen «zugeschnürten Hals». Das sind Beispiele, wie Worte versuchen, etwas auszudrücken, das immer noch nicht ganz klar ist. «Focusing», so Gendlin, sei die Zeit, die wir mit einem gespürten Etwas verbringen, ohne schon zu wissen, was es ist. Im Focusing nehmen wir Kontakt zu diesem Vor-Begrifflichen auf, oder, wie Gendlin sagte, zu dem «not yet formed» (dem noch nicht geformten).
Gendlin erarbeitete mit Focusing zuerst eine Methode zur Selbsthilfe bei persönlichen Problemen. Hierzu beschrieb er Focusing in 6 Schritten und setzte sich dafür ein, dass jeder Mensch in der Lage sein sollte, Focusing zu lernen, ohne dafür zuerst eine Fachsprache lernen zu müssen.
Schlüssel-Elemente:
"Felt Sense" und "Felt Shift"
Über jede Lebenssituation und über jedes Problem können wir gewisse Dinge erzählen. Und für manches fehlen noch die Worte, obwohl wir es irgendwie spüren. Dieses vage körperliche Empfinden des "Problems" oder der «Situation», die Sie sich vorstellen, ist der «Felt Sense» (das Gefühl von etwas Bedeutungsvollem).
Ein «Felt Sense» entsteht immer wieder neu und verändert sich, wenn wir uns darauf beziehen. Die Möglichkeit, darauf Bezug zu nehmen, betrachtete Gendlin als «Quelle der Veränderung». Wenn sich im Erleben etwas verändert, ist das konkret körperlich spürbar, als Erleichterung oder Lösen von Anspannung. Gendlin nannte dies «Felt Shift» (gefühlte Veränderung).
In Focusing-Prozessen pendelt die Aufmerksamkeit zwischen «Problem» und dem körperlichen Erleben («Felt Sense» und «Felt Shift»). Dies geschieht oft alltäglich und unbewusst und bringt uns in Entwicklungen voran. Es gibt jedoch Situationen, in den die Entwicklung blockiert ist. Für diese Situationen ist es hilfreich, den Focusing-Prozess bewusst zu initiieren.
Focusing in Kombinationen
Focusing, zuerst als Methode zur Selbsthilfe beschrieben, wird erfolgreich mit der Psychotherapie kombiniert, sofern die therapeutische Grundhaltung personzentriert ist.
Die Bezeichnungen «Felt Sense» und «Felt Shift» wurden in verschiedenen verwandten Modellen eingeführt, wie z.B. im Somatic Experience oder in der Integrativen Körperpsychotherapie IBP.
Wo das «persönliche Erleben» als Entscheidungs-Instrument anerkannt ist, wird Focusing ergänzend eingesetzt, und so erfreut sich Focusing im deutschsprachigen Raum seit den 1980er-Jahren immer grösserer Beliebtheit und ist auch in Traumatherapie, Musik- und Kunsttherapie, Bewegungs- und Körpertherapie, Psychosozialer Beratung, Kunst, Yoga, Kindertherapie und komplementären Therapien eine sanfte und kräftigende Unterstützung.